Der grosse Gipfelstürmer

In seinen jungen Jahren durchlebte Karl Lugmayer Himmel und Hölle. Dramatische Erlebnisse von damals beschäftigen ihn noch heute.

Eigentlich wollte der Oberösterreicher  Flugzeugbauer und Testpilot werden. Früh begann er mit Segelfliegen und beabsichtigte, nach dem Abitur Mathematik zu studieren. Doch er hatte die Rechnung ohne Hitler gemacht. Österreich gehörte plötzlich zum Deutschen Reich. Erst 18-jährig, wurde er 1944 nach Nordfrankreich in den Krieg geschickt. Nach nur zwei Wochen Rekrutenschule kam der Infanterist an die Front. Mit seinem alten Langgewehr aus dem 1. Weltkrieg  lag er tagelang in einem Schützenloch und gab nie einen Schuss ab. Artilleriefeuer und andere tödliche Geschosse pfiffen über ihn hinweg. Plötzlich erfolgte ein feindlicher Angriff durch Kettenfahrzeuge. Eines fuhr direkt am Rand seines Schützenlochs vorbei. Als er  die Ketten über sich sah, kletterte er blitzschnell zwischen den Gewehrläufen auf das Fahrzeug und erschreckte die darin sitzenden Engländer. Nach diesem Husarenstück war für ihn der Krieg vorbei Er wurde entwaffnet, kam in Gefangenschaft und verbrachte zwei bittere Jahre hinter Stacheldraht in Lagern in Belgien und England.

 

 

Weg nach oben und ein Sturz

 

Welch eine Freude war es dann, endlich wieder nach Hause zu kommen. In den folgenden Jahren  studierte er in Wien sechs Semester Physik und fand eine ganz besondere Herausforderung im Bergsteigen. Hier machte er sehr schnell eine erstaunliche Karriere. Ab 1949 war er mit dem Amerikaner Allen Steck  immer wieder mit Velo und Rucksack unterwegs, um die berühmten Bergwände der Ost- und Westalpen zu erklettern: die Grosse Zinne, die Civetta, den Grossglockner und den Däumling.

 

Mit viel Glück und Geistesgegenwart überlebte  Lugmayer einen gefährlichen Absturz. Er erinnert sich noch genau: „Mit leisem Knirschen löste sich ein Haken mit meinem Seil. Ich stürzte rückwärts, kopfüber aus der Wand und flog dreissig Meter in die Tiefe. Dann fühlte ich, wie sich das Nylonseil spannte. Abgebremst krachte ich mit dem Schädel auf den Felsen. Mir wurde schwarz vor Augen, sah Sterne, konnte mich dann aber ganz benommen noch auf eine Plattform ziehen. Ich hatte im Zeitlupentempo den ganzen Absturz in kleinsten Details ohne Angstgefühle miterlebt. Als ich mich etwas erholt hatte, machte ich trotz der stark blutenden Kopfwunde mit Allen Steck den Abstieg ins Dorf, wo mich ein Medizinstudent verarztete.“ Am nächsten Tag versuchten die zwei zähen Bergsteiger nochmals, die Nordwand der Grossen Zinne zu erklettern, diesmal mit Erfolg.

 

Eiger-Nordwand und Fluglizenz

 

Karl Lugmayer erklomm mit Erich Vanis und Hans Ratay 1952 sogar die legendäre Eiger-Nordwand: „Trotz der unbehaglichsten und kältesten Nacht im Biwak fühlte ich mich ausserordentlich wohl. Zuerst galt es, einen Überhang zu überlisten. Ein Haken fuhr in den Fels, die Steigeisen knirschten, und ich war auf einer Kanzel, frei in der Wand. Vor mir führte am Rande des Steilabbruches der Quergang zur Spinne – wirklich ein Göttergang!“

 

Zwar  erhielt Karl Lugmayer 1958 die Privatpilotenlizenz, doch statt Testpilot zu werden, kam er zur Swissair an den Flughafen Wien. Hier hatte er wesentlichen Anteil am Aufbau des Cargo-Geschäfts. Als Kadermitglied schätzte er die Verkaufskonferenzen mit den vielen interessanten Begegnungen. Da fühlte er sich als Teil der grossen Swissair-Familie.

 

Ein historischer Fundus

 

Nach seiner Heirat mit der Lehrerin Elisabeth war Karl Lugmayers Vagabundenleben endgültig vorbei. Jetzt war die Familie das Wichtigste. Mit seiner Frau und den fünf Kindern – vier Mädchen und ein Bub –unternahm er viele Reisen. Heute hat er elf Enkelkinder.

 

Seit seiner Pensionierung im Jahre 1986   sammelt unser Kollege alles, was der Franziskanerpater Zyrill Fischer gegen den Nationalsozialismus geschrieben hat. Dieser konnte sich 1938 durch Flucht in die USA noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Der „Zeithistoriker“ Lugmayer fand sensationelle Schriften und konnte davon an die 2000 Seiten kopieren – das Aufarbeiten dieser Unterlagen wird ihn noch lange beschäftigen.

 

Heute noch immer, auch am Swissair- Stammtisch in Wien, muss der 84-jährige von seinen einstigen Berg-Abenteuer erzählen. Die Eiger-Nordwand zählt zu seinen herausragenden Erlebnissen. „Ich glaubte, dort in den Wolken zu schweben“ schwärmt er. „Ganz nah leuchtete der Gipfelfirn im blauen Himmel, und dann schritten wir über den harten, in Abendrot getauchten Firnrücken bis zum Gipfel.“

 

Swissair News 2/2010    /      Karl Lugmayer ist im März 2014 gestorben