Der Swissair-Pöstler

Vom Gepäckkontrolleur zum Leiter der Postzentrale. Eine beachtliche Karriere eines bescheidenen Mannes. Ob das Leben als Pensionierter nun auch so spannend wird, muss sich noch zeigen.

 

  

Sein Gesicht, seine wachen Augen und sein Schnauz machen ihn auf Anhieb sympathisch. Der Eindruck von Gemütlichkeit und Ehrlichkeit verstärkt sich noch, sobald Urs Nachbur in seinem echten Berndeutsch zu sprechen beginnt. Freude, Offenheit und Ehrlichkeit sind denn auch die Tugenden, die er für sehr wichtig hält. Diese Eigenschaften wurden auch in seinem beruflichen Umfeld sehr geschätzt und honoriert.

 

Mit sechzig Jahren lässt er sich nun frühpensionieren und versucht jetzt loszulassen, was für ihn während mehr als dreissig Jahren, Familie, Lebensinhalt, Identifikation und Sinn bedeutete. Es ist ein Start in ein neues Leben – so wie es damals im Jahr 1980 war, als der gelernte Schriftsetzer seine Berner Heimat verliess und zur Swissair nach Zürich zog. Völlig unspektakulär begann seine neue berufliche Karriere in der Gepäckkontrolle. Wegen eines Unfalls wechselte er später in die Postzentrale, wo er bis zur Pensionierung geblieben ist. Seine Identifikation mit der Firma war total, er fühlte sich wie in einer grossen Familie, ja, er war richtig stolz, für die Swissair zu arbeiten. Als Pöstler lernte er wie kein anderer die verschiedenen Departemente, vor allem das Personal der Vorzimmer der Chefs kennen. Er war der verlässliche, omnipräsente Mann, den alle kannten, der gutgelaunt, schwitzend und unermüdlich Berge von Briefen, Zeitungen und Manuals verteilte. Kein Wunder, dass er es bis zum Chef der Postzentrale und Logistik Balsberg schaffte. Ihm war auch die Direktionsgarage unterstellt.

 

Persönliche Begegnungen

 

Urs Nachbur war selber oft als Chauffeur mit Direktionsmitgliedern unterwegs und brachte diese sicher und pünktlich an die gewünschten Orte. So lernte er wichtige Entscheidungsträger der Swissair persönlich kennen und freute sich, dass auch ein Direktionspräsident wie Baltensweiler, Loepfe, Staubli oder Corti ihn mit Namen begrüssten und jeweils fragten, wie es ihm gehe. Auf solchen Dienstfahrten waren seine illustren Passagiere jedoch meistens recht schweigsam, denn sie benutzten die Fahrt, um Akten zu studieren, sich mental auf die entsprechende Veranstaltung vorzubereiten oder sich zu entspannen. Die grösste Wertschätzung erfuhr der Direktionschauffeur durch Herrn Mario Corti. Dieser hatte ihn spontan auf einen Flug mitgenommen, als er sein zweimotorisches Privatflugzeug selber von Buochs nach Zürich pilotierte. Der Flug war ein Erlebnis, speziell auch, so nah am Pilatus vorbei zu fliegen.

 

Trauer statt Feier

 

Seinen Geburtstag am 2. Oktober 2001 wird Urs Nachbur wohl nie vergessen. Er stand gerade im Büro von Mario Corti und wurde Zeuge, wie dieser kämpferische Chef verzweifelt und erfolglos versuchte, Herrn Ospel von der UBS telefonisch zu sprechen. Da, im Büro von Mario Corti, erlebte der Chef-Pöstler vom Balsberg hautnah den Untergang der einst so stolzen Swissair, es war der Tag des Groundings. Da gab es denn an diesem, seinem Geburtstag nichts mehr zu feiern.

 

Überleben im Wechsel der Zeit

 

Es ist wohl das Verdienst von Urs Nachbur und seinen Leuten, dass die Postzentrale mitsamt der Direktionsgarage auch heute noch die genau gleiche Dienstleistung erbringt wie früher. Zwar änderte zweimal der Name seines Arbeitgebers, statt Swissair hiess es dann Avireal und heute Priora, doch ihre Kunden sind auch heute noch die Swiss, Swissport und SR-Technics. Die Direktionsmitglieder der heute selbständigen Firmen sind weiterhin mit den gleichen Dienstwagen und Fahrern unterwegs. Genau wie ihre Vorgänger, so schätzen auch sie den zuverlässigen, persönlichen Service. Eigentlich ist dies doch sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, dass diese ehemaligen Swissair-Departemente heute ganz unterschiedliche ausländische Besitzer haben. – Mit dem guten Gefühl, etwas Dauerhaftes erreicht zu haben, sollte es Urs Nachbur jetzt auch gelingen, loszulassen.

 

Neue Möglichkeiten

 

Ob er einmal eine Teddy Bear-Ausstellung machen wird, weiss der Frühpensionierte jetzt noch nicht. Durch seine Sammlerleidenschaft, die er mit seiner Partnerin teilt, könnte dieser Schritt aber naheliegen. Bis jetzt haben sie 140 solcher „Bäremani“ „adoptiert“. Vielleicht hat diese Liebe zu Teddy Bears etwas mit seinem Namen Urs – Ursus – oder mit Bern und Bärengraben zu tun. Was Urs Nachbur aber sicher weiss, ist, dass er jetzt viele Reisen unternehmen wird. Zuerst mal mit der Eisenbahn nach Hamburg und dann mit der Queen Mary 2 nach New York und weiter nach Florida. Auf Treasure Island im Golf von Mexiko, in der Nähe der Stadt St. Petersburg, wird er wieder seine deutschsprechenden Freunde besuchen, die dort ein Motel führen. Seit vielen Jahren hat er dort immer wieder übernachtet. Florida ist für ihn zur zweiten Heimat geworden. Jetzt hat er aber auch Zeit, noch andere Weltgegenden zu entdecken, den Fernen Osten etwa. Für ihn ist klar, dass es überall auf der Welt Schönes gibt. Da wird auch der Landschaftsfotograf auf seine Rechnung kommen – man darf gespannt auf seine Fotobücher sein, die er mit den besten Aufnahmen gestalten will.

 

Swissair News 3 / 2012