Gastgeberin für betagte Singles

Auch sie ist nicht mehr die Jüngste. Energie und Tatendrang ist Susanne Reding aber geblieben. Davon profitieren Senioren in ihrem Quartier.

 

Die heute 79jährige war schon immer eine   aktive Frau. Auch als Gattin und Mutter von zwei Töchtern übte sie öffentliche Ämter in Kirche und Schule aus. Oft war sie noch spät abends ausser Haus, da die Sitzungen meist nach Feierabend stattfanden. Adrian Reding unterstützte seine Frau in ihrem Tun, denn er wusste, wie sehr dies ihrer Zufriedenheit diente.

 

Was, du bist bei der Swissair?

 

Susanne ist in einer weltoffenen Familie aufgewachsen. Ihr Vater war Holländer und alle Verwandten ihrer Mutter lebten in den USA. 1960 konnte auch sie eine viermonatige Amerikareise unternehmen, nachdem sie für das 2340 Franken teure Economy-Ticket lange gespart hatte. In Zürich hatte die DC-7 eine sechsstündige Verspätung. So fand  Susanne Zeit, die Arbeit der Groundhostessen  zu beobachten und wusste sehr bald, dass auch sie diese Tätigkeit einmal ausüben wollte. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz bewarb sie sich für diese Arbeit, wurde angestellt und war zwei Jahre später bereits Lead-Groundhostess. Es war eine wunderbare Zeit für sie. Sie und ihre Kolleginnen wurden von den Besuchern auf der Flughafenterrasse bewundert und  unzählige Male fotografiert, wie sie in ihren  schmucken Uniformen die Passagiere zu Fuss zum Flugzeug begleiteten. „Wir kamen uns manchmal  wie im Bärengraben vor“, meint sie schmunzelnd.

 

Swissair,  Ort der Begegnung

 

In dieser Zeit lernte sie Adrian Reding kennen, der von der Swissair-Station Beirut  zurückkehrte. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die 1965 zur Heirat führte. Mit der Geburt der ersten Tochter endete Susannes Groundhostessen-Karriere. Vielen in der Swissair ist Adrian Reding auch heute noch als langjähriger Schulungsleiter für Luftverkehrslehrlinge bekannt. Diese Tätigkeit liebte er sehr. Der Schock war gross, als er nach 45 interessanten und glücklichen Ehejahren unerwartet starb.

 

Plötzlich allein, was nun?

 

Trotz der zwei erwachsenen Töchter und der drei Enkelkinder, die glücklicherweise in der Nähe leben, fühlte sich Susanne Reding in ihrer Trauer sehr allein. Doch sich vollkommen fallen zu lassen, entsprach nicht ihrem Charakter. Ein Zeitungsartikel brachte sie auf die Idee, eine „Tavolata“, einen Mittagstisch für alleinstehende Senioren zu gründen.  Migros Kulturprozent bietet Kurse und Erfahrungsaustausch für Leiterinnen solcher Gruppen an. In vielen Teilen der Schweiz gibt es bereits gegen 100 „Tavolatas“  in unterschiedlichen Arten als Vorbeugung gegen die Vereinsamung der oft allein lebenden Senioren. (www.tavolata.net).

 

Die begeisterte Köchin und Gastgeberin entschied sich, für acht Alleinstehende ihres Quartiers selbst zu kochen und diese in ihrem Haus in Opfikon einmal pro Monat gegen Bezahlung der Selbstkosten von 15 Franken zu verwöhnen. Vorgängig lud sie zwei Männer und sechs Frauen im Alter von 69 - 94 Jahren zu einem Informations-Kaffee ein und fragte, wer bei dieser „Tavolata“ mitmachen möchte. Es wollten alle! Nun existiert sogar eine Warteliste. 

 

Die wahre Liebe geht durch den Magen

 

Seither stellt die Unermüdliche monatlich ein  Viergangmenü zusammen, geht mit erstelltem „Postizettel“ einkaufen, bereitet in Küche und Esszimmer alles vor und empfängt ihre jeweils pünktlich eintreffenden Gäste um 12 Uhr. Noch nie ist  jemand unentschuldigt ausgeblieben.

 

Susanne Reding versucht nicht nur kulinarische, sondern auch geistige Kost aufzutischen. Sie sucht interessante Diskussionsthemen, gibt Erkenntnisse von besuchten Vorträgen zum Besten oder lässt ein Gedicht oder eine mitgebrachte Kurzgeschichte vorlesen. Über eigene gesundheitliche Probleme wird am Anfang kurz berichtet, doch Jammern über Krankheiten ist tabu. Es wird darauf geachtet, dass sich alle am Gespräch beteiligen und immer nur eine Person, nicht alle gleichzeitig miteinander sprechen, was gut für die zwei Frauen mit Hörhilfen ist. Die Senioren sind sehr dankbar und schätzen all dies sehr, doch das Wichtigste ist und bleibt für sie das gute Essen! Beim Abschied ist es für die Gastgeberin immer wieder beglückend zu hören, dass alle sich bereits auf das nächste Zusammensein freuen. Abends nach einer solchen Tafelrunde ist sie jeweils todmüde, doch zufrieden mit dem schönen Gefühl, Sinnvolles zu leisten und noch gebraucht zu werden.  

 

Vielleicht kommt eine neue Idee

 

Die umtriebige Frau ist auch heute noch in der katholischen Pfarrei als Lektorin und Stiftungsrätin tätig, und in ihrem Haus führt sie eine kleine Leihbibliothek für Nachbarn und Freunde. Mit zwei alten Swissair-Kolleginnen organisiert sie zudem gerade ein Treffen ehemaliger Groundhostessen. Auf die Frage, was sie in Zukunft machen werde, antwortet sie: „Ich weiss es noch nicht, aber vielleicht kommt mir eine neue Idee!“

 

Dezember 2013