Im Chaos einen klaren Kopf behalten

Im Winter, bei Schnee und Kälte, waren die Herausforderungen für den einstigen ELS-Chef gigantisch. Heute hat Charles Streich andere Schwierigkeiten zu meistern, solche, die sogar an die eigene Substanz gehen.

 

Wir alle erinnern uns an die chaotischen Wintertage, als tagelange Schneefälle den ganzen Flughafen lahmlegten. Tage, wo kein einziges Flugzeug starten oder landen konnte, als per Radio die Passagiere aufgefordert wurden, wegen abgesagten Europa-Flügen zuhause zu bleiben oder mit der Eisenbahn zu fahren. Gestrandete Passagiere mussten betreut, verpflegt und untergebracht, Pisten durch Schneepflug-Equipen frei gemacht und Flugzeuge abgespritzt werden. Besatzungen hatten zuhause oder auf Auslandstationen zu warten und auf Abruf einsatzbereit zu sein. Überall gab es Engpässe und Chaos, denn das Wetter war meist total unberechenbar. Charles Streich, der langjährige Chef der Einsatzleitstelle – ein Konfliktlöser, der es versteht, mit allen auszukommen – ist heute noch sehr stolz, dass es ihm gelungen war, die einst zerstrittenen Players, wie Amt für Luftverkehr, Turm, Meteo oder Bodendienste an einen Tisch zu bringen, um dann in einem speziell gegründeten „Snow Committee“ ausgezeichnete Arbeit zu leisten. In solch  kritischen Tagen war es besonders schwierig, die Passagiere behalten zu können und genügend Besatzungen einsatzbereit zu haben. Natürlich konnten nicht alle Probleme gelöst werden, es gab oft Schadenskosten in Millionenhöhe. Trotzdem: Charles Streich hat es nie bereut, dass er 1955 die Swissair-Stelle im Crew Assignment mit einem Lohn von 600 Franken angenommen hatte, obwohl er bei einer anderen Firma ein fast doppelt so hohes Salär hätte haben können. Auf die 40 Swissair-Jahre zurückblickend, sagt er: „Ich hatte den schönsten Job, und die Swissair war eine wunderbare Firma! Ich war nicht nur mit meiner Frau, sondern auch mit Swissair verheiratet.“ Dankbar denkt er an all die ehemaligen Mitarbeitenden zurück, die zu Erfolg und Zufriedenheit beigetragen hatten.

 

In guten und in schlechten Tagen

 

Nach der Schulzeit und KV-Lehre in Brugg arbeitete Charles Streich am schönen Genfersee und lernte in der Romandie auch seine spätere Frau kennen. 1958 schlossen sie den Bund fürs Leben und es entstand eine Familie mit drei Kindern. Sehr viele glückliche Jahre reihten sich aneinander. Sie reisten gern und viel, denn die Freiflüge machten viele Träume wahr! Griechenland, Zypern und das Tirol liebten sie ganz besonders. Im Wallis hatten sie eine Ferienwohnung und unternahmen im Sommer  Bergwanderungen und fuhren im Winter Ski. Dem 86-Jährigen sieht man auch heute an, dass Sport ihm alles bedeutete. Mit viel Enthusiasmus setzte er sich für den Swissair-Fussballclub ein und spielt auch heute noch Tennis in der Freizeitanlage Bassersdorf.

 

Dann aber, es war vor sieben Jahren, schlug das Schicksal zu: seine Frau erkrankte an Demenz mit zunehmendem, verheerendem Persönlichkeitszerfall. Nun ist Charles Streich extrem gefordert, seine geliebte Frau zu umsorgen, zu pflegen und dazu den ganzen Haushalt allein zu erledigen: putzen, kochen, abwaschen, einkaufen und immer wieder Kleider  waschen. Bis jetzt hat der sportliche Mann all dies gemeistert, doch spürt er, wie er physisch und psychisch an seine Grenzen kommt. Nicht nur die Arbeit zehrt an seinen Kräften, es ist vor allem die Unmöglichkeit, sich in irgendeiner Art mit seiner Lebensgefährtin auszutauschen, zusammen zu reden. „Ich habe so viele gute Jahre mit Anny erlebt, jetzt muss ich auch die schlechten akzeptieren“, sagt der sich aufopfernde Ehemann ergeben. Er hofft, dass bald ein Zimmer im nahen Pflegeheim für seine Frau  frei wird, denn jetzt kann er sie nur tageweise morgens dorthin bringen und abends zum Schlafen wieder nach Hause holen.

 

 

Zum Glück hat Charles Streich moralische Unterstützung durch seine Kinder und alte Freunde aus der Swissair-Zeit, mit denen er in der kurz bemessenen Freizeit  bei Tennis und gemeinsamen Treffen neue Kräfte sammeln kann. Er weiss aber, dass viele andere, so wie er, die genau gleichen Herausforderungen mit einer dementen Ehepartnerin zu meistern haben. Sie alle verdienen höchste Anerkennung für ihr tägliches Heldentum.