„Selbständigkeit ist mir das Wichtigste“

 

 

Als Frau Doktor vom ärztlichen Dienst der Swissair hatte Miroslava Fikajs oft Gesundheitsratschläge fürs Älterwerden erteilt, heute sollte sie diese selber befolgen.

 

 

 

 

 

 

Wie kamen Sie, Frau Dr. Fikajs, zu dieser Stelle im ärztlichen Dienst der Swissair?

 

Als vor genau 50 Jahren die Russen mit Panzern in Prag einbrachen und dem Prager Frühling ein Ende setzten, verbrachte ich gerade Ferien in Jugoslawien mit meinem Mann und den zwei Kindern. Wir hatten ja bereits den 2. Weltkrieg mit dem Einmarsch der Deutschen und nach Kriegsende der Russen in Tschechien erlebt, daher entschieden wir uns, statt nach Prag zurückzukehren, in die Schweiz zu emigrieren. Ohne grosse Dramatik gelangten wir über Wien nach Zürich. Später, als mein Mann – ebenfalls Arzt – im Spital Bülach arbeitete, meldete ich mich auf das Stelleninserat der Swissair und wurde als  erste Ärztin im ärztlichen Dienst angestellt. Viele der Airhostessen bevorzugten eine Frau, um sich fliegerärztlich untersuchen zu lassen.

 

Denken Sie gerne an diese Swissair-Zeit zurück?

 

Ja, es waren sehr gute 19 Jahre, die ich im ärztlichen Dienst verbrachte. Mir gefielen die Zusammenarbeit mit Chefarzt Dr. Gartmann und den andern Mitarbeitern, aber auch die Kontakte mit meinen Kunden. Tatsächlich sprachen wir von Kunden und nicht von Patienten, denn hier ging es meist um fliegerärztliche Untersuchungen der Piloten und der Flight Attendants oder um die Abklärung von Arbeitsunfähigkeit. Auch heute treffe ich mich jährlich zweimal mit meinen damaligen Arbeitskolleginnen und Kollegen.

 

Wie halten Sie als 90-Jährige selber die gesundheitlichen Ratschläge ein, die Sie früher andern erteilten?

 

Dass ich heute immer noch eine Raucherin bin und das auch in meinem hohen Alter bleiben will, entspricht nicht wirklich der Lehrmeinung. Sehr wichtig ist mir aber, dass ich geistig und körperlich aktiv bleibe, mich bewege und als alleinstehende Witwe – mein Mann ist vor 16 Jahren gestorben – Kontakte mit andern Menschen pflege. Heute kann ich leider nicht mehr schwimmen gehen oder Auto fahren, doch ich lese viel und erledige alle Arbeiten im Haushalt und im kleinen Gärtchen selbst. Eine sportliche Herausforderung sind jeweils die 85 Treppenstufen, die ich von meiner Terrassenwohnung bis zum Briefkasten hinunter und hinauf steigen muss, um die Post zu holen. Ich habe sehr gute Kontakte mit meinen erwachsenen Kindern, Enkelkindern, Nachbarn und ehemaligen Swissair-Kolleginnen, sei es persönlich oder per Telefon. Da gibt es auch immer viel zu lachen, was bekanntlich sehr gesund ist. Den Schritt ins digitale Zeitalter habe ich leider verpasst, ich komme ohne Computer und Internet aus.

 

Als Ärztin waren Sie auch mit Sterben und Tod konfrontiert. Wie denken Sie als 90-Jährige darüber?

 

Sterben und Tod gehören zum Leben. Ich bin dankbar, Gene für Langlebigkeit zu haben, doch denke ich nicht gerne daran, dass ich wohl in zehn Jahren nicht mehr existieren werde.

 

Die heutige, moderne Medizin hat unglaubliche Fortschritte erzielt und vieles möglich gemacht. Was finden Sie gut, was schlecht?

 

Heute erlauben Computer und technische Apparate sehr wertvolle Diagnosen und Behandlungen, doch kommt dabei oft das Arzt-Patienten-Gespräch zu kurz. Früher führte die ärztliche Anamnese – das Erforschen der Krankheits-Vorgeschichte – zusammen mit der körperlichen Untersuchung und den Labortests zur Diagnose. Unnötige Operationen gibt es heute bestimmt, doch bin ich der Meinung, dass jeder Mensch selbst entscheiden soll, ob er im hohen Alter noch eine schwere Operation zulassen soll, um sein Leben für eine nur kurze Zeit zu verlängern. Ich finde Patientenverfügungen sinnvoll, die den Willen des Patienten in Extremsituationen festschreiben.

 

Haben Sie Verständnis für Leute, die mit Hilfe von Exit ihr Leben beenden wollen?

 

Wenn jemand im Alter unter sehr schweren Krankheiten zu leiden hat und sich für einen begleiteten Suizid entscheidet, habe ich nichts dagegen. Jeder sollte selbst für sich entscheiden, was für ihn richtig ist. Ich selber würde in dieser Situation den palliativen Weg bevorzugen, denn auch da ist ein schmerzloses, friedliches Sterben möglich.

 

Blick in die Zukunft: Was sind Ihre Hoffnungen und Pläne?

 

Ich möchte weiterhin geistig und körperlich aktiv bleiben und selbständig zu Hause wohnen. Ich hoffe, auch meinen Optimismus behalten zu können und immer etwas zum Lachen zu haben.